Die 40 schnellsten Mountainbikerinnen und Mountainbiker der Welt, ein 1 bis 1,5 Kilometer langer Rundkurs mit vielen Überholmöglichkeiten und eine Renndauer von knapp 20 Minuten sind das Rezept für die spektakuläre Disziplin Short Track: Es findet meist zwei Tage vor dem Höhepunkt eines Weltcupwochenendes, den Wettkämpfen in der olympischen Cross-Country-Disziplin, statt. Dort jagen die besten Fahrerinnen und Fahrer in rasanten Duellen über die Rennstrecken.
Die Wurzeln des Short Tracks liegen in Amerika
Die scheinbar so junge Mountainbike-Disziplin besitzt eine Historie, die deutlich länger zurückreicht, als man zunächst vermutet. Sie findet ihre Anfänge in den 90er-Jahren. Wie viele Trends in diesem Sport geht die Entwicklung von Short Track-Rennen auf Ursprünge in den USA zurück. Bereits vor der Jahrtausendwende wurde dort ein kurzes intensives Rennformat entwickelt, das die physischen Unterschiede zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgleichen sollte, so dass über die gesamte Renndauer die Spannung aufrecht erhalten blieb. Gleichzeitig sollten sich die zusätzlichen Wettkämpfe möglichst problemlos in die Rennwochenenden integrieren lassen. Es entstand schließlich ein Format, das eine Mischung aus Cyclocross und Cross-Country darstellte – die so genannte Short Track-Disziplin.
Über Jahre hinweg führte der Short Track jedoch insbesondere auf europäischem Boden ein Schattendasein: Hierzulande gänzlich unbeachtet, machte die damals sehr außergewöhnliche Disziplin lediglich bei den wenigen amerikanischen Großereignissen wie etwa dem größten Radsport-Festival weltweit, dem Sea Otter in Kalifornien, auf sich aufmerksam. Erst als sich der Radsportweltverband UCI rund um die 2010er Jahre mit zusätzlichen Rennformaten für den Weltcup beschäftigte, schien das Konzept des Short Tracks Anklang zu finden.
Mehr Medienwirksamkeit durch Zusatzdisziplin im Weltcup
Durch die Fokussierung auf ein einziges Rennen im Rahmen eines Weltcups boten sich über lange Zeit nur wenige Möglichkeiten zur Vermarktung des Cross-Country-Sports. Geringe TV-Zeiten und eine damit einhergehende geringe Präsentationsmöglichkeit für Sponsoren bewog den Radsportweltverband in Zusammenarbeit mit den Teams nach neuen Formaten zu suchen, die sich in das bestehende System einfügen ließen. Vor allem mit Blick auf die Olympischen Spielen erhoffte man sich durch eine mögliche zweite olympische Disziplin mehr öffentliche Aufmerksamkeit.
Bereits damals wurde über eine Einführung der Short Track-Rennen im Weltcup spekuliert. Letztlich fiel die Entscheidung jedoch zugunsten eines anderen Formats: dem sogenannten Eliminator-Sprint. Im sogenannten „Heat“-Modus, analog zum Verfahren in anderen Sportarten wie beispielsweise dem Ski-Cross, wurde bis zum Jahr 2014 bei fast jedem Weltcuprennen ein zusätzlicher Wettkampf in dieser Disziplin durchgeführt. Je vier Fahrerinnen bzw. Fahrer traten im direkten Duell gegeneinander an, die zwei Besten rückten in die nächste Runde auf, ehe im Finallauf Siegerinnen und Sieger ermittelt wurden. Auch in Albstadt gab es die Eliminator-Sprints zu bewundern: 2013 sicherte sich die Schwedin Alexandra Engen und der Österreicher Daniel Federspiel in der Innenstadt von Albstadt-Tailfingen den Sieg. Ein Jahr später stand die Schweizerin Kathrin Stirnemann und der Belgier Fabrice Mels auf einer neuen Strecke im Albstädter Bullentäle ganz oben auf dem Podest.
Short Track sticht Eliminator aus
Da die Eliminator-Rennen jedoch ohne Bedeutung im Hinblick auf die nachfolgenden Wettkämpfe in der Cross-Country-Disziplin blieben, verzichtete ein Großteil der internationalen Top-Stars auf einen dortigen Start, so dass die erhoffte öffentlichkeitswirksame Wirkung verpuffte. Im Jahr 2015 wurden die Rennen deshalb aus dem Weltcup-Programm gestrichen und seit 2017 als eigenständige Disziplin mit eigenen separaten Wettkämpfen fortgeführt.
Die Grundproblematik der geringen Medienwirksamkeit des Cross-Country-Sports blieb damit jedoch bestehen, so dass sich die UCI und die größten Teams in der Szene nach neuen Ideen umschauten: Es entstand schließlich das Konzept der Short Track-Rennen im Weltcup.
Wie eingangs erwähnt hatte sich das kurze Rennformat in den Vereinigten Staaten über viele Jahre hinweg als Publikumsmagnet bewährt und konnte zudem geschickt in die dortigen Großveranstaltungen integriert werden. Dabei zeigte sich, dass im Gegensatz zur Eliminator-Disziplin weniger die erwarteten Spezialisten die Nase vorn hatten, sondern vielmehr die etablierten Kräfte aus den Cross-Country-Wettkämpfen. Spannende Rennverläufe waren an der Tagesordnung, was ideale Voraussetzung für den Start der Erfolgsgeschichte Short Track bot.
Neue Regeln mit erheblichen Auswirkungen für die Top-Fahrerinnen und Top-Fahrer
Das Ziel, auch die absoluten Top-Fahrerinnen und Top-Fahrer zu vollem Einsatz im Short Track zu motivieren, wurde durch eine Anpassung der Regularien möglich. Der Verzicht auf einen Start oder ein kraftsparendes Verhalten in den neuen Rennen wurde mit weitreichenden Konsequenzen verbunden. Konkret bedeutet dies: Die Ergebnisse des Short Tracks dienen heute als Qualifikationslauf für die wichtige Startposition im Cross-Country-Rennen zwei Tage später. Die ersten drei Startreihen, also die ersten 24 Startplätze, werden durch die Ergebnisse des Short Tracks festgelegt. Zudem fließen die Resultate in die Gesamtwertung des Weltcups ein: Die Siegerin beziehungsweise der Sieger eines Short Tracks erhalten je 125 Weltcup-Punkte. Zum Vergleich: ein Sieg im Cross-Country-Rennen bringt 250 Punkte. Im Verhältnis zur Renndauer haben die Punkte des Short Tracks somit einen erheblichen Einfluss auf das Overall-Ranking.
Die Weltcupgesamtwertung spielt dann wiederum bei der Startplatzvergabe für die Short Track-Rennen folgender Weltcupstationen eine entscheidende Rolle. Jeweils 40 Fahrerinnen und Fahrer sind für den Short Track grundsätzlich startberechtigt. Das sind zunächst die 16 Bestplatzierten der Gesamtwertung. Die verbleibenden 24 Startplätze werden anhand der Platzierungen innerhalb der aktuellen Weltrangliste, die auch Wettkämpfe außerhalb der Weltserie beinhaltet, aufgefüllt. Das Short Track-Rennen im Albstädter Bullentäle markiert dieses Jahr jedoch eine Ausnahme: Da zum Auftakt der Rennsaison 2021 logischerweise noch keine Wertung des Gesamtweltcups existiert, sind die jeweils besten 40 Fahrerinnen und Fahrer der Weltrangliste beim Short Track im Bullentäle mit von der Partie.
One-Man-Show bei den Männern & Diversität bei den Frauen
Das neue Konzept geht auf: Die junge Disziplin wird von Sportlern und Zuschauern gleichermaßen sehr positiv aufgenommen und entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem weiteren Highlight im Rennkalender. Bereits beim ersten Short Track-Rennen im Rahmen eines Weltcups – im Albstädter Bullentäle 2018 – überschlugen sich die Ereignisse und sie zeigen eindrucksvoll, welches Potenzial in der Disziplin steckt. Superstar Nino Schurter fiel im Herrenrennen direkt nach dem Start die Kette herunter, wenig später musste er das Rennen sogar vorzeitig aufgeben. Somit ging der Schweizer Superstar zwei Tage später beim Cross-Country-Rennen mit dem Handicap einer schlechten Startposition ins Rennen, was den Spannungsbogen erheblich vergrößerte. Dass es trotz eines verpatzten Short Track-Rennens möglich ist, im Cross-Country zu überzeugen, bewies der Olympiasieger in ebendiesem Hauptrennen mit einem eindrucksvollen Sieg.
Im Gegensatz zu Schurter rückte beim Short Track bereits eine Figur ins Rampenlicht, welche die zukünftigen Wettbewerbe der neu eingeführten Disziplin prägen sollte wie kaum eine andere: Der niederländische Superstar Mathieu van der Poel, der in den Radsportdisziplinen Cyclocross, Straße und Cross-Country gleichermaßen erfolgreich ist. Dieser sicherte sich mit einem famosen Antritt 2018 den Sieg in Albstadt. Van der Poel beließ es aber nicht bei dem einen Erfolg: In den vergangenen drei Jahren triumphierte das niederländische Allround-Talent bei insgesamt sieben weiteren Short Track-Rennen. 2019 dominierte er die Szene, indem er alle fünf Wettkämpfe bei denen er am Start stand, für sich entscheiden konnte.
Dass die neue Disziplin jedoch keineswegs eine langweilige One-Man- bzw. One-Woman-Show sein muss, zeigt der Rückblick auf die Rennen im Damenfeld: Acht verschiedene Siegerinnen bei insgesamt 15 durchgeführten Rennen im Rahmen eines Weltcups sprechen eine eindeutige Sprache – Short Track ist eine packende Disziplin, die enorm viel Spannungspotenzial mit sich bringt. Ob Weltmeisterin Pauline Ferrand-Prévot, Ausnahmeathletin Jolanda Neff oder Kate Courtney, die amerikanische Gesamtweltcupsiegerin aus dem Jahr 2019 – sie alle standen schon ganz oben auf einem Short Track-Podest.
Short Track als zweite MTB-Disziplin bei Olympia?
Die Charakteristik des kurzen und wenig selektiven Rennformats mit häufigen Sprintentscheidungen birgt Vorteile für spritzige Fahrer wie beispielsweise Mathieu van der Poel. Zudem spielen Taktik und Rennübersicht eine wichtige Rolle, da der entscheidende Moment anzugreifen gegebenenfalls rennentscheidend sein kann. Kritiker des Short Tracks sehen in der neuen Disziplin aufgrund der taktisch geprägten Wettkämpfe ein Format, das zu sehr klassischen Straßenrennen ähnele und dadurch Fahrerinnen und Fahrer bevorzuge, die spritzig und endschnell seien.
Ungeachtet der Kritik, ist es jedoch Fakt, dass die Erfolgsgeschichte des Short Tracks weiter anhält. In der anstehenden Saison werden diese Rennen zum vierten Mal in Folge Teil der Weltcupserie sein. So wird auch beim Auftakt in Albstadt, wie in den Jahren 2018 und 2019, der Short Track das Rennwochenende am Freitag einläuten. Der Erfolg der Disziplin führt dazu, dass die UCI in diesem Jahr auch erstmals die Vergabe von Weltmeistertiteln im neuen Rennformat vorsieht – ein möglicher Schritt auf dem Weg zu einer zweiten Mountainbike Disziplin bei den Olympischen Spielen? Wir werden sehen.
Mehr Informationen rund um den Mercedes-Benz UCI Mountain Bike World Cup und die Bikezone Albstadt finden Sie auf www.bikezone-albstadt.de